19.10.2012 10:12

Stellungnahme der AEPF zu publikationsbasierten Dissertationen

(Die Stellungnahme können Sie hier herunterladen.)

Im Juli 2011 hat der Vorstand der DGfE eine Stellungnahme zu publikationsbasierten Dissertationen in der Erziehungswissenschaft veröffentlicht. Diese zielt darauf ab „Qualitätskriterien für eine solche Promotion vorzusehen, um die Ansprüche an diese Form der Promotion mit denen an die klassische Promotion, mit einer Monographie als Dissertation, gleichzusetzen“ (DGfE, 2011, S. 2). Die Empfeh­lung umfasst zwei Teile. Der erste Teil definiert fünf allgemeine Regelungen, die aus Sicht des Vorstands einzuhalten sind, um die Gleichwertigkeit von publikationsbasierten und monographischen Dissertationen zu gewährleisten. In den allgemeinen Regelungen wird festgelegt, dass mit jeder Dissertation, unabhängig von der Form, der Nachweis der Befähigung zu selbst­stän­diger, angemessen komplexer und anspruchsvoller wissenschaftlicher Forschung erbracht werden muss. Publikationsbasierte Dissertationen sollen dabei eine Einleitung beinhalten, in der die einzel­nen Beiträge in substanzieller Weise theoretisch gerahmt und in den aktuellen Forschungs- und Diskussionsstand eingeordnet werden. Weiterhin wird festgelegt, dass bei Beiträgen, die der Doktorand oder die Doktorandin gemeinsam mit anderen verfasst hat, die jeweiligen Anteile der einzelnen Autorinnen und Autoren auszuweisen sind. Handelt es sich bei einem der Autorinnen oder Autoren um den Betreuer bzw. die Betreuerin der Dissertation, sollen zusätzliche Gutachten von unbeteiligten Personen eingeholt werden. Allgemein wird festgehalten: „Grundsätzlich ist die Gleich­wertigkeit der Anforderungen an monographische und an publikationsbasierte Dissertationen zu gewährleisten“ (DGfE, 2011, S. 2).

Im zweiten Teil der Empfehlung wird dann eine mögliche Umsetzung der allgemeinen Richtlinien skizziert, die sieben Punkte umfasst und sich unter anderem auf den Umfang publikationsbasierter Dissertationen, den Umgang mit in Ko-Autorschaft publizierten Beiträgen und die Anzahl von Publi­ka­tionen, die ein Begutachtungsverfahren durchlaufen haben sollen, beziehen. Demnach soll eine publikationsbasierte Promotion mindestens drei veröffentlichte oder zur Veröffentlichung angenom­mene Beiträge umfassen. Werden weniger als fünf solcher Beiträge vorgelegt, müssen „mindestens drei“ davon „in Fachzeitschriften oder Herausgeberbänden mit Begutachtungsverfahren“ zur Publikation angenommen oder bereits publiziert worden sein (DGfE, 2011, S. 3). Umfasst die Disser­tation mindestens fünf Beiträge, so werden zwei begutachtete Publikationen als ausreichend erach­tet. Grundsätzlich sollen mindestens zwei der Veröffentlichungen vom Doktoranden bzw. von der Doktorandin in Alleinautorschaft verfasst worden sein.

Die AEPF hat die Stellungnahme des DGfE-Vorstands in ihrer Mitgliederversammlung am 6. Septem­ber 2011 in Klagenfurt gewürdigt und ausführlich diskutiert. Die Mitglieder begrüßen es ausdrücklich, dass die DGfE mit der Veröffentlichung der Richtlinien eine in vielen Fachbereichen und Fakultäten bereits akzeptierte Form der schriftlichen Promotionsleistung anerkennt. Damit wird Nachwuchs­wissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern in der Erziehungswissenschaft die Möglichkeit eröffnet, die Ergebnisse ihrer Arbeit in den aktuellen wissenschaftlichen Diskurs einfließen zu lassen sowie Publikationserfahrungen zu sammeln, die für ihre weitere Laufbahn eine entscheidende Rolle spie­len. Zudem wird anerkannt, dass in Teilen der Erziehungswissenschaft, insbesondere in der empi­risch-pädagogischen Forschung, Publikationen in Fachzeitschriften mit peer review inzwischen die wichtigste Form der Veröffentlichung von Forschungsbeiträgen darstellen. Die Empfehlung ist daher für die empirisch arbeitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der DGfE ein wichtiger Schritt.

Der erste, allgemeine Teil der Stellungnahme ist aus Sicht der AEPF äußerst sinnvoll und wichtig. Dies gilt insbesondere für die Maßgabe, dass publikationsbasierte Dissertationen eine substanzielle Ein­leitung enthalten müssen, in der die eingereichten Schriften theoretisch gerahmt und der relevante Forschungsstand umfassend beschrieben wird. Dieser Teil spielt bei einer publikationsbasierten Promotion für die Beurteilung der Frage, ob der Doktorand bzw. die Doktorandin das relevante Forschungsfeld umfassend durchdrungen hat und mit der eigenen Arbeit weiterführt, eine zentrale Rolle. Daher sollte auch auf die mit einer reinen Aneinanderreihung von Veröffentlichungen verbundene Bezeichnung „kumulativ“, die in der Stellungnahme der DGfE an zwei Stellen vorkommt, unbedingt verzichtet werden.

Die konkreten Regelungen, die im zweiten Teil der Stellungnahme vorgeschlagen werden, halten die Mitglieder der AEPF dagegen für problematisch. Dies betrifft vor allem zwei Punkte des exem­pla­ri­schen Vorschlags für die Umsetzung der DGfE-Kriterien für publikationsbasierte Dissertationen in Promotionsordnungen, die im Folgenden kritisch diskutiert werden.             
 

Punkt 2 des Vorschlags: Mindestens zwei Publikationen sollten in Alleinautorschaft vorliegen.

Insbesondere in der Empirischen Bildungsforschung, aber auch in anderen Teildisziplinen der Erziehungswissenschaft, sind Promovierende oft in Projekten tätig, die aufgrund ihrer Komplexität ohne die enge Zusammenarbeit einer größeren Anzahl von Personen nicht durchführbar wären. In solchen Zusammenhängen sind Publikationen mit mehreren Koautorinnen und Koautoren gängig und unabdingbar. Es würde gegen die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis verstoßen, substanziell an der Forschung beteiligte Personen bei der Publikation der Ergebnisse nicht einzubeziehen (vgl. DFG, 1998). Die Forderung, dass zwei von mindestens drei Publikationen in Alleinautorschaft veröffentlicht sein müssen, ist für Dissertationen, die in Projektkontexten entstehen, daher unangemessen. Sofern daran festgehalten werden soll, die allgemeinen Regelungen anhand eines Beispiels zu konkretisieren (s.u.), sollte die Formulierung in „Allein- oder Erstautorschaft“ geändert werden. In der Empirischen Bildungsforschung – wie in vielen anderen Forschungsgebieten auch – signalisiert die Erstautorschaft, dass die Hauptverantwortung für den Aufsatz bei der jeweiligen Person liegt. Dieser Beitrag ist nicht weniger eigenständig als bei monographischen Dissertationen, in die häufig auch Ideen und Rückmeldungen von Betreuerinnen und Betreuern eingehen.

Selbstverständlich muss bei Promotionsleistungen, die in Teilen in Kooperation mit anderen entstanden sind, sichergestellt werden, dass substanzielle Anteile der Doktorand bzw. die Doktorandin selbstständig erbracht hat. Hierzu ist es erforderlich, dass diese Anteile explizit ausgewiesen werden. Weiterhin sollte die einleitende Rahmung der Dissertation grundsätzlich von den Promovierenden selbstständig verfasst sein. Beide Aspekte, die auch im Positionspapier des Wissenschaftsrats (2011) zu Anforderungen an die Qualitätssicherung der Promotion herausgestellt werden, sind im allgemeinen Teil der Stellungnahme der DGfE enthalten.

Eine besonders zu behandelnde Situation entsteht dann, wenn Gutachterinnen oder Gutachter in einem Promotionsverfahren an den Publikationen beteiligt waren, die Bestandteil der Dissertation sind. Dies wird zu Recht allgemein als Einschränkung der Unabhängigkeit der Beurteilung betrachtet. Auch diesem Problem trägt jedoch – wiederum in Entsprechung mit dem Positionspapier des Wissenschaftsrats (2011) – der allgemeine Teil der Stellungnahme der DGfE ausreichend Rechnung, in dem gefordert wird, dass „zusätzliche, unabhängige Gutachten hinzugezogen werden“, wenn „von den eingereichten Beiträgen mehrere in Ko-Autorschaft mit Betreuerinnen bzw. Betreuern der Promotion verfasst worden sind“ (DGfE, 2011, S. 2).

 

Punkt 3 des Vorschlags: Werden weniger als fünf veröffentlichte oder zur Veröffentlichung angenom­mene Beiträge vorgelegt, müssen mindestens drei Beiträge in Fachzeitschriften oder Heraus­geber­bänden mit einem Begutachtungsverfahren publiziert oder angenommen worden sein. Werden fünf oder mehr Beiträge vorgelegt, dann müssen mindestens zwei dieser fünf Publikationen mit einem Begutachtungsverfahren publiziert oder für die Publikation angenommen worden sein.

Ein wichtiges Qualitätsmerkmal publikationsbasierter Dissertationen besteht darin, dass die Beiträge das Potenzial haben, von renommierten, möglichst auch internationalen Zeitschriften mit peer review zur Publikation angenommen zu werden bzw. von solchen Zeitschriften bereits angenommen worden sind. Wer schon einmal einen solchen Publikationsprozess durchlaufen hat, weiß, wie anspruchsvoll und aufwändig das Verfahren sein kann. Man muss damit rechnen, dass ein Manuskript bei den ersten Anläufen abgelehnt wird und dass im Anschluss an die Aufforderung, das Manuskript nach gründlicher Überarbeitung erneut einzureichen (revise and resubmit), mehrere Gutachtenschleifen durchlaufen werden müssen. Dies ist für die Qualitätssicherung wichtig, führt aber natürlich auch dazu, dass der Prozess sehr langwierig sein kann.

Aus diesem Grund ist die Maßgabe, dass mindestens drei Beiträge in Fachzeitschriften oder Herausgeberbänden mit einem Begutachtungsverfahren bereits publiziert oder angenommen sein müssen, problematisch. Dies sollte (wenn überhaupt) für maximal zwei Publikationen verlangt werden, um zu vermeiden, dass sich Promotionsprozesse aus Gründen, die nicht in der Hand der Promovierenden liegen (v.a. die oft sehr langen Zeiträume, die zwischen Manuskripteinreichung und Eingang von Gutachten liegen), verzögern. Diese Aussicht könnte Doktorandinnen und Doktoranden davor abschrecken, ihre Beiträge bei besonders renommierten Zeitschriften einzureichen, bei denen der Publikationsprozess meist besonders langwierig ist. Damit hätte die Regelung den unerwünschten Nebeneffekt, dass Forschungsarbeiten von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern weniger gut platziert werden als es möglich und auch im Hinblick auf ihre wissenschaftliche Laufbahn wünschenswert wäre.

Bei Manuskripten, die als Bestandteil einer Dissertation eingereicht werden und sich noch im Gutachtenverfahren befinden, muss die Promotionskommission entscheiden, ob diese das Potenzial haben, von einer renommierten Zeitschrift angenommen zu werden. Auch im Falle von klassischen Promotionen, die als Monographie angelegt sind, entscheidet die Kommission darüber, ob die jeweilige Arbeit promotions- und damit auch publikationswürdig ist. Es gibt keinen Grund, warum sie dies nicht auch bei publikationsbasierten bzw. publikationsorientieren Dissertationen tun sollte. Grundsätzlich sollte, wie bei jedem Promotionsverfahren, die Kommission, gestützt auf Gutachten, das Verfahren in der Hand behalten (s.u.).

Allgemein kamen die Mitglieder der AEPF in der Mitgliederversammlung am 6. September 2011 zu dem Schluss, dass auf quantitative Spezifizierungen der Richtlinien für publikationsbasierte Dissertationen, wie etwa die Anzahl der publizierten bzw. angenommenen Beiträge oder der Umfang des einleitenden Textes (im exemplarischen Vorschlag für die Umsetzung der DGfE-Kriterien mit „mindestens 30 Seiten“ angesetzt), verzichtet werden sollte. Derartige Oberflächenmerkmale sind zur Sicherung von Qualität, um die es in den Richtlinien primär gehen sollte, ungeeignet. Für Dissertationen, die in Form einer Monographie vorgelegt werden, würde man wohl kaum auf die Idee kommen, Vorgaben für Seitenzahlen oder für die Anzahl von Teilstudien vorzugeben. Ein solcher Verzicht ist vernünftig und sollte auch für publikationsbasierte Dissertationen gelten.

Die qualitative Prüfung einer Promotionsleistung durch die Universitäten darf nicht durch quantita­ti­ve Vorgaben und Gutachtenverfahren von Zeitschriften ersetzt werden. Diese Gefahr besteht vor allem dann, wenn festgelegt wird, welche Anzahl von Publikationen in Zeitschriften mit peer review eine Dissertation mindestens umfassen muss. Damit wird die Erwartungshaltung geschürt, dass Doktorandinnen und Doktoranden, die diese Anforderung erfüllen, ein Recht darauf haben, promoviert zu werden. Aber selbst in renommierten Zeitschriften mit Gutachtenverfahren werden gelegentlich Beiträge veröffentlicht, die nicht wissenschaftlich einwandfrei oder sogar fragwürdig sind. Es muss einer Promotionskommission freistehen, solche Beiträge als unzureichend zu bewerten. Entsprechend betont auch der Wissenschaftsrat in seinem kürzlich veröffentlichten Positionspapier zu Anforderungen an die Qualitätssicherung der Promotion: „Daraus folgt, dass die Annahme der Einzelartikel auch durch renommierte Fachzeitschriften nicht die Begutachtung durch die promovierende Einrichtung ersetzt. Die Universität trägt die Verantwortung für die Qualitätssicherung auch der publikationsbasierten Dissertation“ (Wissenschaftsrat, 2011, S. 27).

Es ist abzusehen, dass die Stellungnahme der DGfE von den Universitäten wahrgenommen und aufgegriffen wird. Dabei wird kaum eine Rolle spielen, dass die spezifischen Kriterien als "exemplarischer Vorschlag" deklariert werden. Die Kriterien werden als Minimalvorgaben gelesen und sollten dies wohl auch sein.  Das vorliegende Dokument wäre für die Qualitätssicherung in der empirisch arbeitenden Erziehungswissenschaft jedoch aus den genannten Gründen problematisch. Daher schlägt die AEPF vor, die Stellungnahme im oben dargestellten Sinne zu überarbeiten.

 

Referenzen

DFG (1998). Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis. Denkschrift. Weinheim: WILEY-VCH. https://www.dfg.de/download/pdf/dfg_im_profil/reden_stellungnahmen/download/empfehlung_wiss_praxis_0198.pdf (abgerufen am 10. Dezember 2011).

DGfE (2011). Publikationsbasierte Dissertationen in der Erziehungswissenschaft. https://www.dgfe.de/fileadmin/OrdnerRedakteure/Stellungnahmen/2011_Publikationsbasierte_Promotionen.pdf (abgerufen am 10. Dezember 2011).

Wissenschaftsrat (2011). Anforderungen an die Qualitätssicherung der Promotion. Positionspapier. https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/1704-11.pdf (abgerufen am 10. Dezember 2011).

 

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